Künstliche Intelligenz rückt endlich ins Zentrum der politischen Aufmerksamkeit.
Der aktuelle Koalitionsvertrag macht deutlich: Deutschland will KI strategisch vorantreiben – als zentraler Bestandteil der Innovations- und Wirtschaftspolitik. Das Ziel ist ambitioniert: Deutschland soll zur führenden KI-Nation in Europa werden.
Das zeigt, wie dringlich das Thema ist und dass der Handlungsbedarf erkannt wurde.
Gut so. Denn das Potenzial ist da: Mit einem starken Mittelstand, engagierten Gründerinnen und Gründern sowie wachsender technologischer Expertise hat Deutschland alle Voraussetzungen, um beim Thema KI eine Vorreiterrolle einzunehmen.
Reclaim German Pioniergeist! Hallo deutsche Erfindermentalität! Schön, dass ihr zurück seid! Wirtschaft, Tech-Szene und Politik ziehen endlich zusammen an einem Strang. Und lassen Deutschland nicht nur aufholen, sondern den Weg von KI mitgestalten. Ganz vorn. Ganz innovativ. Und natürlich ganz auf europäische Art: also ganz verantwortungsvoll.
In den Augen der Unwissenden mag dem deutschen Mittelstand ein Klischee anhaften: solide, fleißig, bisschen tradiert, etwas angestaubt. Irgendwie oldschool. Doch wer dieses Klischee glaubt, ist selbst von gestern! Denn was im Mittelstand abgeht, mag sogar Amerika und China das Fürchten lehren.
Veit Brucker von Asana als Spezialist für digitale Transformation und Implementierung von KI-gestützten Arbeitsprozessen wirft gleich eine beachtliche Zahl ins Publikum: 94% der deutschen Führungskräfte geben laut einer internen Studie an, dass die Prozesse im Unternehmen innovationsbedürftig seien.
Das Bedürfnis ist also riesig, der Hunger ist groß, das Problem auf der Agenda. Weitere aktuelle Studien zeigen, dass im Jahr 2025 rund 33 % der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in Deutschland bereits Künstliche Intelligenz (KI) aktiv nutzen. Und 24 % der Mittelständler testen momentan KI-Lösungen, sodass insgesamt mehr als die Hälfte der KMU entweder schon KI einsetzen oder konkret an der Einführung arbeiten.
Klar ist da noch Luft nach oben. Aber wir sehen ja an Konferenzen wie der Hinterland of Things, dass Oldschool schon seit ein paar Jahren mit Newschool slammt und beide bestes Business zusammen machen. Start-ups und Mittelstandsunternehmen sind angetreten, um ausgetretene Pfade zu verlassen und die Produktivität zu steigern. Und zwar in Produktion und Fertigung, Logistik und Supply Chain, Handel und Kundenservice:
• Produktion und Fertigung: z. B. durch Predictive Maintenance oder Qualitätskontrolle via Bildauswertung
• Logistik und Supply Chain: durch dynamische Routenplanung, Lageroptimierung oder Risikoanalyse
• Handel und Kundenservice: mit automatisierten Systemen für Nachfrageprognosen oder Support
Immer da, wo der Prozessdruck hoch und die wiederkehrenden Aufgaben derer viele sind.
Die Frage ist also gar nicht mal, welche Branche besonders profitieren kann. Sondern eher, welche nicht.
Geht das einfach so? Kann ein traditionelles Industrieunternehmen mal eben so mit einem hippen KI-Start-up zusammengehen und plötzlich ist alles gelöst? Wie erklärt man der älteren Generation, dass sein „Hamwa immer schon so gemacht“ durchaus erfolgreich war, dass es aber besser geht? Und überhaupt: Wer lernt dabei eigentlich von wem? Klar ist: Die Menschen, ihre gegenseitige Offenheit und Kollaboration ist hier der Schlüssel.
Lena Weirauch von aiomatic bringt es auf den Punkt: “Man muss sich auf beiden Seiten die Frage stellen, ob man die gleiche Erwartungshaltung hat.“ Auch Thomas Paulus, Chief Digital Officer bei KSB, betont: „Man muss wirklich viel reden, um die unterschiedlichen Kulturen zusammenzubekommen“.
Wie so oft, liegt die Lösung gegen Mittelmaß also genau in der Mitte: Wenn etablierte Prozesse mit modernen Technologien kombiniert werden, dann entstehen plötzlich neue Wege. Abkürzungen, die nach oben führen.
Klar ist, dass KI das Thema ist, an dem man wirklich nirgendwo vorbeikommt und von dem selbst Otto Normal schon irgend etwas mitbekommen hat (spätestens seit es im Koalitionsvertrag steht).
Pip Klöckner, Investor und Tech-Analyst, sprach über den Gartner Hype-Cycle, ein grafisches Modell, das die verschiedenen Phasen des Lebenszyklus neuer Technologien darstellt. Demnach seien wir gerade an dem Zeitpunkt angekommen, an dem erste Zweifel an KI auftauchen. “Large Language Model werden langsam austauschbar. Welcher Anbieter wird am Ende der Gewinner sein?” Vielleicht liege die Lösung – auch für Deutschland – in Open Source-Lösungen.
Frank Thelen wird noch deutlicher: „Was mich immer geärgert hat: wir hatten nie einen Weltmarktführer in Deutschland in der ersten Digitalisierungswelle. Und mir liegt echt am Herzen, dass Europa unabhängig bleibt“. Jetzt gilt es also die nächsten Schritte des Hype Cycles bis ins “Plateau der Produktivität” aktiv mitzugestalten und KI in Deutschland zur Wirtschaftskraft zu formen.
Apropos Hype: Der Papst in einem trendy Puffer-Jacket. Das fanden viele Menschen lustig, weil es so echt aussah, dass jede:r drauf reingefallen ist. Das Bild war mit KI erstellt. Gaza als glitzy Luxus-Reiseziel war dann weniger lustig. Denn auch hier glauben viele, dass sie es mit der Wahrheit zu tun haben. Dabei war auch dieses Video KI-generiert.
Beides zeigt, wie wichtig Moral und Ethik sind, wenn es um das Darstellen oder Fingieren von Wahrheit geht. Beziehungsweise fängt das Dilemma ja schon mit dem Trainieren einer KI an: wird nicht von Anfang an darauf geachtet, dass hier kein Schindluder getrieben wird, hat man kurz darauf ein riesiges gesellschaftliches Problem, Hashtag rechte Gewalt, Hashtag Faschismus, Hashtag (Platz für eigene gruselige Vorschläge). Pip Klöckner warnt vor dem sogenannten “Cognitive Offloading”: “Wir werden die Fähigkeit, kritisch zu denken, verlieren, wenn wir alles an KI outsourcen.”
Moral und Ethik also: wichtiger denn je. Denn auch, was die Arbeit im produzierenden Gewerbe angeht, stellt sich mit dem Einsatz von KI zunehmend die Frage: Braucht man uns schon bald gar nicht mehr? Leonie Althaus von traide AI dazu: “Die Verantwortung bleibt jetzt erstmal bei den Menschen. Doch dann wird sich der Job in Richtung Controlling verändern. Es wird nicht mehr so viele sachbearbeiterrelevante, operative Bereiche geben. Neue Berufe werden entstehen.”
Ja, KI kann Schweißnähte analysieren, Lagerbestände optimieren und Maschinen vorausschauend warten. Und das ist schön und gut und bringt uns nach vorn. Aber sie kann nicht spüren, ob ein Team überfordert ist. Sie kennt keine Intuition, keine Verantwortung, keinen Kontext. Gerade in der Industrie brauchen wir aber beides: Systeme, die Daten lesen und Menschen, die die Bedeutung darin erkennen.
Wer im Wettbewerb bestehen will, kommt an KI nicht vorbei. Und wer eine lebenswerte Zukunft gestalten will, braucht dazu auch den Menschen. Punkt.
Unternehmen wie remberg oder Cerrion setzen auf KI, um Fachkräfte zu entlasten, nicht zu ersetzen. Statt also den Menschen mit Augen, Ohren und Händen Fehler in Anlagen herumsuchen zu lassen, erledigt das eine KI und erkennt potenzielle Störungen frühzeitig.
Denn, um noch einmal Leonie Althaus zu zitieren: „Manche Dinge will einfach keiner machen, weil boring as Fuck.”
Der Mensch wiederum kann in der gewonnenen Zeit die Dinge erledigen, die er viel besser als die Maschine kann: Entscheidungen treffen, Lösungen denken, Probleme angehen, Kaffeetrinken und kommunizieren.
Umgekehrt kann KI auch helfen, wenn weniger Bauchgefühl gefragt ist, dafür aber datenbasierte Entscheidungen. Relevante Daten schneller auszuwerten und diese in Entscheidungen einzubinden, verkürzt Entscheidungswege enorm. Und lässt so manche/n Vertriebler:in seufzen vor Glück.
Aus all dem nun zu schließen, dass KI eher mehr genutzt werden wird als weniger, ist keine steile These. Es ist eine Konsequenz aus Fachkräftemangel, Innovationsdruck und dem Wunsch, bei all dem auch noch wettbewerbsfähig zu bleiben.